Neue Musik: Ben Folds & Nick Hornby, Weezer, Selig, The Duke & The King, Jason Mraz, The Avett Brothers, Fistful Of Mercy

Ben Folds & Nick Hornby – Lonely Avenue (2010)
Das liest sich auf dem Papier oder auf dem Monitor ja ganz hervorragend: Kult-Autor schreibt Texte für Kult-Musiker. Die beiden – inzwischen Freunde – machen ein ganzes Album daraus. Kann ja eigentlich nur super werden. Leider falsch gedacht: die Platte hat ohne Frage ein paar großartige Momente, insgesamt wirkt „Lonely Avenue“ von Ben Folds und Nick Hornby aber seltsam bemüht. Als fremdelte Ben mit Nicks Texten, als hätte Nick Probleme, Ben was auf den Leib zu texten. Bisweilen ist das regelrecht nervtötend und unangenehm hektisch. Und so klingt das nur nach einem unausgegorenen Ben Folds-Album und nicht nach der Zusammenarbeit des Jahres.

Weezer – Hurley (2010)
Wenn ich schon mal rummaule, mach ich auch gleich weiter: es gibt schon wieder eine neue Weezer-Platte. Nachdem mir die Vorgänger „Ratitude“ und „Red Album“ recht gut gefallen hatten (einfach nicht ständig mit der „Blauen“ und „Pinkerton“ vergleichen, und schon geht’s), bin ich von „Hurley“ dann doch enttäuscht. Was Weezer hier bieten, war alles schon mal da, haben wir so oder so ähnlich auf allen vorherigen Alben gehört, interessiert nur so mittelstark. Klar, das Gespür für schöne Melodien verlässt Herrn Cuomo auch hier nie so ganz; klar, ich höre den einen oder anderen Song auf diesem Album ganz gerne („Ruling Me“, „Trainwrecks“). Insgesamt ist „Hurley“ aber kein starkes, sondern vielmehr ein verzichtbares Album. Ob nun Weezer ein Pause brauchen oder ich eine Weezer-Pause, weiß ich gerade nicht.

Selig – Von Ewigkeit zu Ewigkeit (2010)
Ich war ja ehrlich in Sorge, dass mir ein gerade mal anderthalb Jahre nach dem großen Comeback-Album veröffentlichtes, weiteres Selig-Werk eher auf den Keks als ans Herz gehen würde. Und tatsächlich war ich nach dem ersten Hören… ja, was? ernüchtert? überfordert? erschlagen? „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ war bei der Hör-Premiere etwas zu viel Ewigkeit auf einmal. Doch bereits beim zweiten Hören hat es bei mir „Klick“ gemacht. War „Und endlich unendlich“ durch und durch geprägt von Wiedersehensfreude, Wundenlecken und Aufarbeitung, so steigen Plewka und Co. hier wieder tiefer ein in die klassischen Selig-Sujets. Sie singen und spielen von Verzweiflung und Hoffnung, von Liebe und Einsamkeit, vom Höhenflug und vom tiefen Fall. Diese Platte wächst mit jedem Hören und ist musikalisch wie textlich sperriger, direkter als das 2009er Album. Inzwischen ist sie mir näher als ihr Vorgänger. Ja, Selig haben es geschafft, nicht zur alles verklärenden Altherrenband zu werden – sie haben immer noch etwas zu sagen und zu geben.

The Duke & The King – Long Live The Duke & The King (2010)
Ist das ein 2010er-Trend? Bands mit guten 2009er-Releases legen nach nur wenigen Monaten neue Platten vor? Weezer. Selig. Und jetzt auch noch The Duke & The King? Bis heute halte ich „Nothing Gold Can Stay“ – mein persönliches Album des Jahres 09 – für eine der stärksten Songsammlungen der letzten Zeit, noch habe ich mir gar nichts Neues herbeigesehnt. Und doch bin ich sehr froh, dass es diese zweite The Duke & The King-Platte gibt. „Long Live The Duke & The King“ ist leichter, souliger, verspielter als das CD-Debüt aus dem letzten Jahr. Aber wenn man bei jedem Track zufrieden grinst und einem der Herbst plötzlich scheißegal ist, dann kann es sich weiß Gott nicht um miese Musik handeln. Im Gegenteil: auch 2010 spielen der Herzog und der König ganz weit vorne mit. Großartig.

Jason Mraz – Life Is Good EP (2010)
Was ist nur mit Jason Mraz los? Die neue „Life Is Good“-EP besteht aus fünf Live-Stücken von einer seiner unzähligen Post-„I’m Yours“-Touren der letzten zwei Jahre. Ja, er hat eine Top-Liveband. Freilich, er ist ein toller Sänger. Sicher, er hat musikalisch viel mehr drauf als diesen einen großen Überhit. Aber trotzdem klingen die Songs dieser EP so dermaßen nach banalem Erwachsenen-Pop, dass ich es nicht ertrage. Trotz Latin-Grooves und Sprechgesang hat Mraz im Moment etwas mikeandthemechanics– und gloriaestefanmäßiges, das mich einfach betrübt. Mir blutet das Herz.

The Avett Brothers – Live Vol. 3 (2010)
„I And Love And You“ ist noch kein halbes Jahr in Europa draußen (in den USA dafür schon über ein Jahr), und die wunderbaren Avett Brothers legen bereits ein neues Live-Album nach. Meine erste Vermutung war ja, damit wollten sie die Fans der ersten Stunde umschmeicheln. Schließlich waren die in Sorge, dass dem spannendsten Alternative-Country-Act der letzten Jahre mit Majorlabel (American Recordings), Majorproduzent (Rick Rubin) und Majorchartsplazierung (Platz 16 in den Billboard Hot 100) ein ähnliches Schicksal wie Jason Mraz widerfahren könnte: dass der Erfolg lähmt und die Band in die kreative Bedeutungslosigkeit bugsiert. Aber zum Glück ist das alles unbegründet, immerhin war „I And Love And You“ ein fantastisches Album, und diese Live-Veröffentlichung ist nicht minder packend. Weltklasse-Performer, die ihr Herz aus dem Leibe schreien und dabei vor Lebensfreude nur so übersprudeln. Elegant, wie sie den Spagat zwischen Rubin-Hochglanz und räudigem Bühnencharme (ups, versungen, darf ich nochmal anfangen?) beibehalten. „Live Vol. 3“ ist ein Hörvergnügen sondergleichen.

Fistful Of Mercy – As I Call You Down (2010)
Fistful Of Mercy sind die neuen Monsters Of Folk. Ben Harper, Joseph Arthur und Dhani Harrison hatten sich im Februar zusammengetan, um gemeinsam im Studio zu jammen und vielleicht ein paar Songs aufzunehmen. Herausgekommen ist eine neue Supergroup und das vielleicht überraschendste Album des Jahres: das Gespür Arthurs für starke Sätze in starken Melodien trifft auf Ben Harpers Virtuosität und Spielfreude. Was George-Harrison-Sohn Dhani dann noch an Stimme, Songwriting und Präsenz mit einbringt (ich gebe zu, ich kannte ihn vorher nicht), setzt dem ganzen die Krone auf. Neun Momentaufnahmen, die sich zu einer wundervollen Einheit zusammenfügen – „As I Call You Down“ ist ein zeitlos schönes und ergreifendes Album geworden.

Ältere „Neue Musik“-Beiträge gibt’s übrigens hier.

Jason Mraz live in Leipzig (27. März 2009)

„What will happen to a face in the crowd when it finally gets too crowded,
What will happen to the origins of sound after all the sounds have sounded?“

Letztes Frühjahr in Berlin: ein frischer Jason Mraz und seine kleine Band geben in einem kleinen Club ein großartiges Konzert und hinterlassen eine begeisterte, glückliche Masse. Ich war Teil dieser Masse.

Letzten Herbst in Berlin: ein Jason Mraz, der eben den Sommerhit des Jahres abgeliefert hat, rockt mit großer Band und Bläsersatz Huxleys Neue Welt, das Publikum johlt. Ich fand’s okay, der durchgetourte Sommer hinterließ bei den Musikern aber deutliche Spuren.

Heute Abend in Leipzig: ein abwesend wirkender Jason Mraz und seine müde Combo spielen eine knappe Stunde vor einem halbvollen Saal, das Publikum johlt. Ich kann meine Enttäuschung über die lahme Vorstellung, die die Jungs da oben abliefern, nicht verhehlen: das war blutleer, Dienst nach Vorschrift, uninspiriert, nur in den Zugaben blitzte was auf vom Mraz’schen Genius, von seinem Showtalent und seinem Witz.

Mach mal Pause, Mraz.

siebenSACHEN vom 20. Mai 2008. Mit Jason Mraz, Bon Iver, Neil Young u.a.

– Die Bon Iver-Begeisterung schwappt langsam nach Deutschland – ZEIT Online hat ihn interviewt:

– Die Red Hot Chilli Peppers machen erstmal Pause, weiß intro.de.

Evan Thomas Weiss. Der Typ schreibt 52 Wochen lang jede Woche einen Song, nimmt ihn auf und stellt ihn online. Die gesammelten und bisweilen tollen Ergebnisse aus bisher 34 Wochen stehen hier. (via)

– Liste: die schlimmsten Nummer eins-Hits der „00er Jahre“ hat Popdose zusammengestellt.

– Ein lesenswertes Porträt über Beirut-Kopf Zach Condon steht bei Georgia Straight.

– Was für eine Ehre: eine Spinne trägt den Namen Neil Youngs.

– Jason Mraz bewirbt „We Sing. We Dance. We Steal Things“ in London:

Jason Mraz – We Sing. We Dance. We Steal Things. (2008)

Ja, natürlich ist das Pop. Selbstverständlich ist das Mainstream. Nein, von Jason Mraz liest man nix in den hippen Blogs, den Indie-Gazetten oder bei anderen angesagten Musik-Meinungsmachern. Dann eben bei mir: We Sing. We Dance. We Steal Things ist das dritte Studioalbum von Jason Mraz, und es ist ein Triumph.

Klar, die hochglanzproduzierten Songs schreien geradezu nach Radio-Airplay, und die kreischenden Mädels in den ersten Reihen der Mrazschen Shows werden nach dieser Platte mit Sicherheit nicht weniger – bei all dem, was man Abfälliges über Jason Mraz schreiben könnte, sollte man aber nicht versäumen, seine hohe musikalische Qualität, sein Songwritingtalent und nicht zuletzt seinen von modernem Minnesang bis coolem Stakkato-Rap so ziemlich alles souverän beherrschenden Gesang zu würdigen. Der neue, deutlich spürbare Soul-Einschlag mit pointierten Bläsersätzen und gelegentlichen Chören steht Mr. A-Z übrigens hervorragend, die meisten Melodien werden schnell zu Ohrwürmern, die ganze Platte strahlt eine Frische, Lebenslust und Zuversicht aus, dass man Künstler, Produzenten, Fans, Plattenfirma und Vertrieb nur beglückwünschen kann – „We Sing. We Dance We Steal Things“ ist eine Musik gewordene Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Ja, natürlich ist es uncool, so was (wie in: „so was Kommerzielles“ et al.) cool zu finden – vielleicht hat diese Platte aber gerade deswegen beste Chancen, zu meiner persönlichen Lieblingsplatte des Sommers zu werden.

siebenSACHEN vom 8. Mai 2008. Mit Kermit, Tokio Hotel, den Rolling Stones u.a.

– Nicht schlecht: eine Tokio Hotel-Kritik vom US-Rolling Stone.

– Ab morgen wird die neue Jason Mraz gestreamt: „Starting May 9th, we will stream We Sing. We Dance. We Steal Things. on Jason’s Myspace page four days before the official release! No matter where you are this weekend, know that the only way to get the party started is with the NEW Mraz jams!“ Hier.

– Fundgrube: bin gestern zufällig auf die MosaPedia gestoßen, der „Fanzyklopädie“ zu Digedags und Abrafaxen.

– Die Bon Iver-Notiz des Tages: Justin Vernon remixt The Rosebuds – Get Up, Get Out (mp3).

Okkervil River spielten live bei WOXY.com (mp3) (via)

– Schade eigentlich: doch keine Rolling Stones bei eMusic.

Kermit, der traurige Frosch, covert Elliott Smith: Needle In The Hay:

Mrazmania, mal wieder

Habe eben das neue Album von Jason Mraz vorbestellt, auf dem interessanten Weg. Der normale Weg: „We Sing. We Dance. We Steal Things„, das Ergebnis von drei Jahren Arbeit in mehreren Sessions, kommt am 13. Mai als CD raus. Der interessante: wer vorbestellt, kriegt die Songs des Albums vorab auf drei EPs in alternativen Versionen. Die EPs heißen konsequenterweise „We Sing“, „We Dance“ und „We Steal Things“. Und dann kommt im Mai als Krönung das Album, das alle Songs schließlich in den finalen Versionen bietet. Wer Album und EPs als CD kauft, kriegt zur Belohnung DRM-freie mp3-Downloads aller Veröffentlichungen gratis obendruff. Geile Sache, und ich freu‘ mich wie ein kleines Kind auf die viele neue Musik vom Mr. A-Z, dem ich einfach nicht widerstehen kann.