Mein 2019: Lieblingskonzerte

10 – George Ezra, Leipzig, 5. Mai
Der Boy aus Bristol ist zum Superstar geworden. Und legt eine abendfüllende, familienkompatible Show hin, die irgendwo zwischen liebenswürdig und kitschig, sympathisch geerdet und dennoch leicht überdimensioniert einzuordnen ist. Am Ende gehen alle glücklich nach Hause und es bleibt die Gewissheit: dieser unheimlich nette George, der kann was.

9 – Cub Sport, Hamburg, 6. Februar
Versponnener Keyboard-Dream-Pop? Eigentlich nicht so meine go-to-Musikfarbe. Aber vielleicht hat mich die Show der australischen Band gerade deshalb so in ihren Bann gezogen. Große Melodien, ganz große Gefühle. Sänger Tim Nelson ist ein Superstar – noch mag das hierzulande nur für die Gay- oder Indie-Szene gelten. Aber es ist gewiss nur eine Frage der Zeit, bis Bühnen und Fanmengen größer werden.

8 – Gisbert zu Knyphausen, Leipzig, 29. Juni
Einer meiner Lieblingssongschreiber auf der Lieblings-Open-Air-Bühne der Stadt – die Voraussetzungen dafür, dass das ein wunderbarer Spätjuniabend werden dürfte, waren ideal. Gisberts Band und er wirkten auf mich eingespielter und harmonischer als zuletzt; die Stimmung bei Musikern wie Publikum war prächtig. So wurde es schließlich der ersehnte harmonisch-melancholische Sommerauftakt für alle Beteiligten.

7 – Christian Kjellvander, Hamburg, 5. Februar
Der umtriebige Schwede kam mit seiner Band in die Hamburger Livemusik-Institution Knust, um sein achtes Album „Wild Hxumans“ zu präsentieren. Eine beeindruckende Angelegenheit: Kjellvanders sonor-geheimnisvoller Gesang erinnert an Lou Reed und Jim Morrison, die Musik ist tempoarm, aber wuchtig. Wintermusik im besten Sinne – und zwar ganz große.

6 – Faber, Leipzig, 26. November
Der Skandalknabe aus der Schweiz wird wohl einer der großen Abräumer 2020. Gleich zwei Mal will er hier das Haus Auensee ausverkaufen, gleich zwei große bundesweite Touren im Frühjahr und Herbst wird es zu seinem zweiten Album geben. Beim Vorab-Gig im lauschigen Naumanns demonstriert Faber, wie er auch in Duo-Besetzung einen Saal zum Ausrasten bringt. Zynischer Songwriter-Pop mit Weltmusikeinschlag – so eine Nische muss man erst mal finden, sich zu eigen machen und besetzen. Faber hat’s geschafft.

5 – Jan Plewka & Marco Schmedtje, Hamburg, 8. Februar
Mein zweites „Behind the Bars“-Konzert der beiden Herren, diesmal in ihrer norddeutschen Heimat. Und die zwei unweit der Reeperbahn zu erleben, wie sie ihre heimelige, herrlich gefühlsduselige „Wir-ziehen-wahllos-Songs-aus-dem-Hut“-Show durchziehen, ist ein ganz besonderes Vergnügen. Wir hören Songs von Rio Reiser, Simon & Garfunkel und eigene Stücke und glauben später, an der Bar, alle gemeinsam wieder etwas mehr an das Gute im Menschen.

4 – Dave Matthews Band, Berlin, 23. März
Nach vier langen Jahren ziehen DMB wieder durch Europa, in diesem Jahr natürlich, um ihr aktuelles Album „Come Tomorrow“ zu promoten und die mit Keyboarder Buddy Strong in veränderter Besetzung aufspielende Band zu präsentieren. Drei Konzerte durfte ich erleben und damit eine Band in Top-Form bewundern. Am eindrücklichsten war die Show in Berlin – was an den 1-A-Sitzplätzen quasi über der Bühne und an der unfassbar großen Spielfreude der Matthewsschen Mannschaft gelegen haben dürfte.

3 – Niels Frevert, Dresden, 17. Oktober
Meine Güte, hat mir Niels Frevert gefehlt! Fünf Jahre hat er sich für’s Album „Putzlicht“ Zeit gelassen. Aus einer musikalischen und persönlichen Krise kommt er gestärkt zurück. Live bedeutet das vor allem: er rockt wie seit Jahr(zehnt?)en nicht mehr. Seine Band ist perfekt aufeinander abgestimmt, die Setlist überzeugt mit einem fairen Mix aus Neuem und Altem. Niels fliegt die Liebe des Publikums nur so zu und er genießt die Ovationen sichtlich. Erstaunlich: das alles funktioniert auch in abgespeckter Trio-Besetzung, wie ich ein paar Wochen später in Leipzig erleben durfte. Schön, dass Du wieder da bist, Niels.

2 – Dawes, Köln, 1. November
Ebenfalls eine kleine Ewigkeit ist es her, dass Dawes für ein paar Shows in Europa waren. Ich habe sie auf der Tour in Berlin und Köln erlebt und stimme all denen zu, die diese vier Herren für einen der stärksten Live-Acts unserer Zeit halten. Großes Songwriting, famose Performance, euphorisches Publikum. Der für mich größte Moment: das epische „Peace In The Valley“ im Kölner Artheater.

1 – Sinéad O’Connor, Berlin, 8. Dezember
Hätte mir jemand Anfang 2019 gesagt, dass ich noch am Ende desselben Jahres Sinéad O’Connor auf einem umjubelten, ausverkauften Konzert in Berlin erleben würde, ich hätte ihm oder ihr wohl einen Vogel gezeigt. Mit größter Sorge nahm ich all die Schlagzeilen der letzten Jahre zur Kenntnis, ihre psychischen Probleme, die Zerwürfnisse mit Freunden und Familie, die Gerüchte über Suizidversuche und und und. Doch tatsächlich: es scheint ihr wieder gut zu gehen. Gestärkt durch eine neue Band, ein neues Management und eine neue spirituelle Heimat (sie ist jetzt Muslima), setzt sie musikalisch dort an, wo sie vor ihrer Zwangspause seit 2015 war – mit einer frenetisch gefeierten Performance, die einen gelungenen Querschnitt durch ihr gesamtes Oevre liefert. Der Unterschied zu „damals“? Heute wirkt Sister Sinéad gelöst und gestärkt. Ihre Stimme ist dabei in Bestform: glasklar, druckvoll, mal markerschütternd, mal engelsgleich, immer magisch.

Siehe auch:
Lieblingskonzerte 2018, 2017, 2016, 2015, 2014, 2013, 2012, 2011, 2010, 2009.

Mein 2018: Lieblingsalben

10 The Decemberists – I’ll Be Your Girl
Spätestens in diesem Jahr hat dieser back-to-the-80s-Trend auch Acts erreicht, die ich normalerweise gerade dafür schätze, dass sie ganz und gar nicht nach den Achtzigern klingen: Dawes, Josh Rouse – und auch The Decemberists. Die Folkrocker aus Portland spielen auf „I’ll Be Your Girl“ mit Synthie-Arpeggios, Flanger-Drums, Saxophon-Solos, Fretless-Bässen und U2-Gitarren. Liest sich, als wäre das Musik zum Wegrennen. Doch auf wunderbare Weise funktioniert dieser Klang-Ausflug. Was an den starken Songs liegt („Cutting Stone“, „Sucker’s Prayer“ oder das geniale „Russalka, Russalka / The Wild Rushes“). Und daran, dass Colin Meloy & Co. diese Soundelemente stets gezielt und geschmackssicher einzusetzen wissen.

9 Van William – Countries
„Was sind das bloß für Menschen die Beziehungen haben / Betrachten die sich denn als Staaten?“ Diese Zeile von Heinz-Rudolf Kunze kommt mir in den Sinn, wenn ich an das Solo-Debüt von Ex-Port O’Brien-Sänger Van William denke. Auf „Countries“ verarbeitet der Fischersohn aus Alaska unter anderem das Ende einer sechsjährigen, naja… Beziehung und benutzt genau das gleiche Bild: ihn fessele die idea of two people in a relationship acting as separate countries, hat er in einem Interview gesagt. Mehr noch, er schlägt sogar den ganz großen Bogen zur Politik und vergleicht derart Zwischenmenschliches mit dem aktuellen politischen Klima in den USA. Was die Platte so charmant macht: diese inhaltliche Schwere hört man den im sonnigen Kalifornien aufgenommenen Songs kaum an – ein faszinierender Kontrast.

8 Ben Harper & Charlie Musselwhite – No Mercy In This Land
Wie relevant Blues als Protestmusik im Jahr 2018 ist, beweisen Ben Harper (Gitarre, Gesang) und Charlie Musselwhite (Mundharmonika, Gesang) auf ihrem zweiten gemeinsamen Album: sie besingen wütend die Flüchtlingspolitik der aktuellen US-Regierung, gehen gnadenlos mit der eigenen (überwundenen) Alkoholabhängigkeit ins Gericht, berühren mit Zeilen übers Älterwerden (Harper) oder gar den Mörder seiner Mutter (Musselwhite). Handwerklich sind die zwei und ihre Mitmusiker freilich über jeden Zweifel erhaben und die nahezu komplett live im Studio eingespielten Stücke klingen durchweg beseelt und zutiefst authentisch.

7 Lawrence – Living Room
Was für ein Jahr für die Geschwister Clyde und Gracie Lawrence und ihre Band! Ausverkaufte Konzerte, Touren durch die Vereinigten Staaten und Europa, ein erster Auftritt in einer landesweiten Late-Night-TV-Show. Vor allem aber: die Sache mit dem schwierigen zweiten Album souverän gemeistert. „Living Room“ bringt einerseits mehr von diesem gut gelaunten Funk-Pop, mit dem Lawrence sich einen Namen gemacht haben. Andererseits ist da eine neue Reife und Tiefe hörbar, der Mut zur Reduktion, zum Detail. Was die Sache gleich noch viel interessanter macht.

6 Dave Matthews Band – Come Tomorrow
Was für ein Jahr aber auch für Dave Matthews und sein Millionenunternehmenseine Band! Erst der Rausschmiss von Geiger Boyd Tinsley, der sich vor Gericht dem Vorwurf der sexuellen Nötigung stellen muss. Dann die erste Tour seit 2016, und das ohne Gründungsmitglied Tinsley, dafür mit dem neuen Keyboarder Buddy Strong. Und zwischen all dem stand da noch die Fertigstellung des lang erwarteten neunten Albums der Dave Matthews Band auf der To-Do-Liste. „Come Tomorrow“ ist ein Sammelsurium aus verschiedenen zwischen 2006 und 2017 abgehaltenen Aufnahmesessions, mit vier Produzenten und wechselnden Musiker-Line-Ups. Hätte also auch mächtig schief gehen können, hat aber geklappt. Matthews und seine Kollegen klingen auf „Come Tomorrow“ verblüffend zeitgemäß; live soll die Band in diesem Sommer eine Sensation gewesen sein.

5 Isaac Gracie – Isaac Gracie
Die Musik des langhaarigen Londoners ist absolut nicht innovativ oder revolutionär. Aber sie ist sagenhaft gut. Isaac Gracie sieht aus, als hätten wir noch 1993, doch er schreibt und singt im besten Sinne zeitlose Songs – über sich selbst, die Liebe, den Alkohol, über Hoffnung und Verzweiflung. Mal erinnert er mich an Nick Drake, mal an Jeff Buckley, was ja nicht die schlechtesten Assoziationen sind. Trotzdem ist da ein eigenständiger Gracie-Sound, eine durchaus selbstbewusste Haltung; für’s bloße Zitieren oder Nachahmen ist er viel zu clever und versiert. Meine persönliche Singer-/Songwriter-Entdeckung des Jahres.

4 Dawes – Passwords
Mir war vollkommen klar, dass der Nachfolger zu „We’re All Gonna Die“ ebendieses Meisterwerk im Dawes-Katalog nicht würde toppen können. Muss es auch gar nicht. Dafür sind die einzelnen Alben der Band zu verschieden, auch erwarte ich von keiner Band, dass sie sich ständig überbieten muss. Tatsächlich ist „Passwords“ ziemlich anders als „We’re All Gonna Die“. War die 2016er Platte sowas wie der perfekte Soundtrack für einen Nachmittag mit Freunden am Strand, so ist die 2018er eher Musik für einen Winterabend mit Scotch und schweren Gesprächen. Dawes verhandeln auf „Passwords“ die ganz großen Themen wie gesellschaftlichen Zusammenhalt, ewige Liebe und technischen Wandel und packen dies in ein synthesizerlastiges, geradezu spaciges Klanggewand. Und machen damit mal wieder alles richtig.

3 Pinegrove – Skylight
Warum Pinegrove seit Herbst 2017 eine knapp einjährige Zwangspause eingelegt haben, lässt sich nicht kurz und knapp erklären, dafür aber in aller Ausführlichkeit nachlesen. Schön, dass die Band seit September wieder „da“ ist und „Skylight“ nun doch erschienen ist. Wie keine andere Band mixen Pinegrove Indie-Rock und Alternative Country. Verblüffend, wie viel Tiefe und Seele auch in diese Anderthalbminüter passen, die sie immer wieder zwischen ihren längeren Songs einstreuen. Nach wie vor: das Kollektiv um Evan Stephens Hall hat eine große Zukunft vor sich.

2 Blues Traveler – Hurry Up & Hang Around
Blues Traveler-Fans mussten in letzter Zeit sehr geduldig sein – erst wurde das im Mai 2017 eingespielte Album für den Herbst des gleichen Jahres angekündigt. Dann für Januar 2018. Dann für Juni 2018. Nur, um es im Mai auf den Oktober zu verschieben. Doch dann kam es wirklich, und für die Warterei wurde man bestens entschädigt. Kaum zu glauben, dass dies der Output einer Band ist, die bereits mehr als 30 gemeinsame Jahre auf dem Buckel hat. Die Zeit der Songwriting-Kooperationen und Soundexperimente ist erstmal vorbei. Lustigerweise hat uns genau das das inspirierteste und selbstbewussteste Blues Traveler-Album seit vielen Jahren beschert.

1 Brandi Carlile – By The Way, I Forgive You
Die Geschichten, die Brandi Carlile auf diesem Album erzählt, berühren mich zutiefst. Das geht mit der Titelzeile los, gerichtet an jenen Pastor, der sich weigerte, Brandi im Teenageralter zu taufen, weil sie schon damals offen mit ihrer Homosexualität umging. Da ist „The Mother“, in dem sie die Liebe zu ihrer Tochter Evangeline besingt. Da ist aber auch die Story von „Sugartooth“, der den Drogen nicht entsagen konnte. Und und und. Dass Carlile zu den ganz großen Sängerinnen unserer Zeit gehört, war ja lange klar. „By The Way, I Forgive You“ ist ihr bisheriges Meisterwerk. Und das Herzergreifendste, was ich in diesem Jahr hören durfte.

Meine zehn Lieblingsalben 2018 gibt’s hier als Spotify-Playlist.

Siehe auch:
Lieblingsalben 2017, 2016, 2015, 2014, 2013, 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2006, 2005, 2004.

Mein 2017: Lieblingskonzerte

10 – Dave Matthews & Tim Reynolds, Berlin, 30. März
Für manche sind Dave-und-Tim-Shows eine Art Methadon, wenn sie kein „richtiges“ Dave-Matthews-Band-Konzert kriegen können. Andere sehen in den Duovorstellungen eher das Extrakt des Matthews’schen Schaffens. Für mich war’s ein toller Dreistunden-Ritt durch ein inzwischen beachtliches Repertoire und eine große Freude, Herrn M. überhaupt mal wieder zu Gesicht und Gehör zu bekommen.

9 – Gisbert zu Knyphausen, Leipzig, 30. Oktober
Einen Tag nach diesem Konzert musste zu Knyphausen wegen Stimmproblemen den Rest seiner Tour verschieben. Man merkte dem Sänger deutlich an, dass er nicht auf der Höhe war. Dennoch lieferte er mitsamt neuer Band ein beeindruckendes, aber erstaunlich düsteres Set ab. Nach der Show vernahm ich geteilte Meinungen: nicht wenige vermissten den „Lagerfeuer-Gisbert“ und eine intimere Atmosphäre. Mir hat’s sehr gefallen, weil es eben nicht gefällig, sondern fast schon sperrig war. Steht ihm gut, dem Gisbert!

8 – Die Fantastischen Vier, Leipzig, 25. Januar
Unglaublich, wie viele Hits diese Herren schon hatten. Und dann dieses Publikum aus allen Altersklassen – das schaffen sonst wohl nur Die Ärzte. Und ja, super Show. Und natürlich bleiben alle troy und kommen beim nächsten Mal wieder.

7 – Jan Plewka & Marco Schmedtje, Leipzig, 5. April
Der perfekte Geburtstagsabend: Selig-Sänger und Spannemann geben ihr „Between-the-Bars“-Impro-Programm zum Besten (hier zieht das Publikum die aufzuführenden Songs aus einem Lostopf. Oder war’s ne alte Socke?) und für mich isses quasi die Geburtstagsfeier. Mein Zustand: selig; no pun intended.

6 – Bilderbuch, Leipzig, 31. März
Der Hype ist vorbei, der Erfolg bleibt: Bilderbuch hat sich ein Publikum erspielt, das der Band auch nach dem doch eher sperrigen „Magic Life“-Album gewogen bleibt. Live funktioniert das neue Material fast noch besser und so ist ein Abend mit Bilderbuch einfach ein riesengroßer Spaß für alle Beteiligten.

5 – Stu Larsen & Jed Appleton, Stuttgart, 8. Oktober
Die beiden Australier hab ich zweieinhalb Jahre zuvor schon mal in England erlebt. Diesmal nun also vor größerem Publikum, in einem größeren Rahmen. Nicht alle waren von den beiden Soloperformances restlos überzeugt. Ich habe gestaunt, wie stark sich beide Musiker weiterentwickelt haben und denk gern an diese Show in Stuttgart zurück.

4 – Gov’t Mule, Berlin, 3. November
Unmöglich, dieses magische 2016er Konzert am gleichen Ort zu toppen. Aber auch gar nicht nötig. Dank zuverlässig wechselnder Setlists zauberten Haynes und Co. auch diesmal wieder eine ganz individuelle, einmalige, zu Ort, Moment und Publikum passende Grundstimmung – und lieferten dabei natürlich Qualität vom ersten bis zum letzten Ton.

3 – Regina Spektor, Berlin, 14. August
Nach zehn Jahren endlich mal wieder Regina live. Einnehmend, fordernd, verschroben, herzlich. Perfekte Sicht aus der dritten Reihe. Am Ende war ich irgendwas zwischen verliebt und verstört, jedenfalls schwer angetan – Regina Spektor spielt nach wie vor in einer ganz eigenen Liga.

2 – Die Höchste Eisenbahn, Leipzig, 22. Juli
Parkbühne Eutritzsch, Du Schönheit. Kriegst mich immer wieder. Und dann auch noch Die Höchste Eisenbahn in vorzüglichster Spiellaune. Ein klasse Sommerabend!

1 – Conor Oberst, Dresden, 5. August
Diese! Unfassbare! Hitze! Noch nie kam ich derart durchgeschwitzt aus einem Konzert wie aus diesem. Nicht, weil ich sonderlich viel getanzt hätte. Sondern weil das Beatpol an diesem Abend der wohl schwülste Ort der Welt war. Aber egal. Was Conor Oberst und seine mit Teilen der Felice Brothers bestückte Band hier abgeliefert haben, war sensationell – einmal quer durchs Oberstsche Schaffen, Bright Eyes und Unveröffentlichtes inklusive. Und danach fröhliches Fachsimpeln mit von weither angereisten Hardcore-Fans. Ach, wundervoll.

Siehe auch:
Lieblingskonzerte 2016, 2015, 2014, 2013, 2012, 2011, 2010, 2009.

Mein 2012: Lieblingsalben

(umgetextete Psalmen aus dem Alten Testament zu sehr sanfter Gitarrenbegleitung)

10 Kraftklub – Mit K
Keine andere deutsche Band erlebte 2012 einen derartigen Dauerhype, keine andere deutsche Band hatte ihn aber auch dermaßen verdient. Die Chemnitzer veröffentlichten früh im Jahr „Mit K“, eine an schlauen Texten und zwingender Gitarrenarbeit wahrlich reiche Songsammlung. Das Album ging auf 1, die Band spielte gefühlt mehr Konzerte, als das Jahr Tage hatte – und selbst ein knappes Jahr nach „Mit K“ wirkt alles an dieser Band frisch und glaubwürdig.

9 Ben Kweller – Go Fly A Kite
Der Typ wirkt auch mit über 30 noch wie der seltsame Nerd aus der Parallelklasse, der in der Hofpause heimlich im Gebüsch eine raucht. Dabei ist Ben Kweller längst ein profilierter Songwriter und begnadeter Multiinstrumentalist. Nach Ausflügen in Richtung Country und ein paar Monaten Pause nun also „Go Fly A Kite“: kein einziger Füller, jeder Song geradeheraus, herzlich und einprägsam. Sachen wie „Gossip“ und „Jealous Girl“ möchte ich tagein, tagaus im Radio hören.

8 Regina Spektor – What We Saw From The Cheap Seats
Gerade mal 36 Minuten dauert das Vergnügen, das „What We Saw From The Cheap Seats“ geworden ist. Die in Moskau geborene Sängerin präsentiert auf ihrem sechsten Album eine Mischung aus neuen und alten Stücken, so hat sie etwa das grandiose „Don’t Leave Me (Ne Me Quitte Pas)“ noch einmal neu arrangiert und aufgenommen. Wieder ist es ihre famose Stimme, die mich in ihren Bann zieht. Wieder ist es das Fehlen jedweder Beiläufigkeiten oder Belanglosigkeiten, das dieses Album zu einem Genuss macht. Zum Nebenbeikonsum ganz und gar nicht geeignet.

7 Martin Rossiter – The Defenestration Of St. Martin
Spät im Jahr gesellte sich Martin Rossiter zu meinen Lieblingsalben-Machern hinzu. Der ehemalige Sänger der wunderbaren britischen Band Gene („Olympian“, „Fighting Fit“) hat nach sieben Jahren Musik-Pause ein eigenwilliges, aber bemerkenswertes Album aufgenommen. „The Defenestration Of St. Martin“ lebt über die meiste Zeit ausschließlich von Piano und Gesang, nur gelegentlich setzt der Walise andere Dinge wie Chöre oder Drums ein – immer nur dann, wenn sie ihm wirklich notwendig erscheinen. So hat er einen musikalisch sanften und lyrisch herausfordernden Liederzyklus abgeliefert, in dem ich mich in diesem Winter nur allzu gern verlieren möchte.

6 The View – Cheeky For A Reason
Da sind sie wieder, The View. Auch auf die Gefahr hin, dass meine kleine Seite irgendwann als deutsches View-Fanblog gehandelt wird: auch das 2012er Album der Schotten ist wieder ein großer Wurf. Unerwartet schnell nach dem sehr üppigen „Bread And Circuses“ veröffentlicht, geht es auf „Cheeky For A Reason“ wieder rauer und reduzierter zu, was die Produktion betrifft. Keineswegs aber beim Songwriting: diese elf famosen Popsongs haben mich durch das gesamte zweite Halbjahr 2012 begleitet, wofür ich den vier Herren zutiefst dankbar bin.

5 Dave Matthews Band – Away From The World
Mit deutlich kleinerer PR-Maschine als beim Album drei Jahre zuvor lieferte die Dave Matthews Band 2012 eine neue Platte ab. Dabei galt die schon als Sensation, ohne dass man nur einen einzigen Ton gehört haben musste. Immerhin war erstmals seit 2000 wieder Steve Lillywhite Produzent der Band; jener Mann, der auch schon U2 groß gemacht und die ersten drei DMB-Major-Releases produziert hatte – allein dieser Name sorgte für massig Vorschusslorbeeren. Was die Fans zu hören bekamen, erfüllte die fast schon unmenschlich hohen Erwartungen überraschenderweise voll und ganz. „Away From The World“ ist keine reine Song-Ansammlung, sondern eine meisterlich kompilierte musikalische Reise. Statt „Hits“ gibt’s ein fünfzigminütiges Epos wie aus einem Guss.

4 The Avett Brothers – The Carpenter
Zum zweiten Mal produziert Rick Rubin die Gebrüder Avett, und erneut geht das richtig gut. „The Carpenter“ besticht durch grandioses Songwriting zwischen Folk, Rock, Country und Pop – und die Avett Brothers singen und spielen einmal mehr, als ginge es um ihr Leben.

3 Kid Kopphausen – I
Die tragischste Veröffentlichung des Jahres. Als „I“ herauskam, waren wir alle begeistert, verzückt, ja geradezu euphorisch: Nils Koppruch und Gisbert zu Knyphausen, a match made in heaven. Tolle Stimmen, tolle Songs, ein Gesamtkunstwerk. Und dann, lächerlich wenige Wochen nach Veröffentlichung, schläft Koppruch einfach so ein. Bis heute macht mich sein Tod ratlos und traurig. Wer weiß, ob ich „I“ jemals wieder unbeschwert und ohne Wehmut hören kann. Dabei gehört dieses Album gehört, wieder und wieder und wieder. Mach’s gut, Nils.

2 Blues Traveler – Suzie Cracks The Whip
Unerträglich lange hat es gedauert, bis Blues Traveler ein neues Album fertig hatten – immerhin vier Jahre! Das lange Warten wurde aber reich belohnt. „Suzie“ ist eine Rückkehr zur Höchstform. Ging es in der letzten Zeit doch etwas behäbig und gesetzt zu bei den Herren um John Popper, so sind sie jetzt, in ihrem 25. Bandjahr, direkter, unmittelbarer und lauter denn je. Die zahlreichen Co-Autoren, die gewitzten Produzenten und nicht zuletzt natürlich die spielfreudigen Bandmitglieder hauchen dem Projekt Blues Traveler neues Leben ein. Das beste der Band seit dem 2003er Überalbum „Truth Be Told“. Things are looking up.

1 Sinéad O’Connor – How About I Be Me (And You Be You)?
Noch länger, nämlich fünf Jahre, hat es gedauert, bis Sinéad O’Connor mal wieder mit einem neuen Album um die Ecke kommt. Waren das 2007er „Theology“ (umgetextete Psalmen aus dem Alten Testament zu sehr sanfter Gitarrenbegleitung), das 2005er „Throw Down Your Arms“ (Reggae-Cover) und das 2002er „Sean-Nos Nua“ (sanft modernisierte Irish-Folk-Standards) eher Alben für echte O’Connor-Liebhaber, so ist „How About I Be Me…“ die erste „klassische“ Pop-CD der Irin seit dem 2000er Meisterwerk „Faith And Courage“. Die Platte wirkt wie eine Essenz ihres Schaffens, stimmlich ist sie in Bestform und nach wirklich jedem Lied habe ich ein zufriedenes, glückliches Grinsen im Gesicht. Seit über 20 Jahren begleitet mich die Musik dieser Frau durch’s Leben, in diesem Jahr intensiver denn je.

Don’t Fear The Reaper

Viel los zur Zeit. Und die meiste Blogging-Energie geht zur Zeit für heldenstadt drauf – sehr, sehr gerne, übrigens. Daher fehlte allerdings hier z.B. die alljährliche Würdigung von LeRoi Moore und Bobby Sheehan anläßlich ihrer Todestage im August. Auch sonst gibt’s einiges zu berichten, was ich sicher in den nächsten Tagen oder Wochen auch tun werde. Bis dahin: Musik. Die Dave Matthews Band bot am letzten Wochenende eine tolle Version des Blue Oyster Cult-Songs „Don’t Fear the Reaper“ dar, die ich Euch nicht vorenthalten möchte. Womit wir dann doch ein Tribute für LeRoi hätten, irgendwie.


Video: Don’t Fear The Reaper – 9/3/11 – Synced Audio/Complete – Preliminary Version bei Youtube

Musik, Musik, Musik: The Head And The Heart, Bon Iver, Howie Day, The Felice Brothers, Warren Haynes, James Maddock, Aaron Comess, Marc Broussard, Openhearts Society, Dave Matthews Band, Ben Harper.

So much music, so little time – deshalb hier die Musik, die mich gerade durch den Frühsommer bringt, im Schnelldurchlauf:

The Head And The Heart habe ich vorgestern als Vorband beim Death Cab For Cutie-Konzert in Berlin erlebt. Live waren sie noch überzeugender als auf ihrem Album (denn live klingen sie größer, ergreifender, ausgereifter) – dennoch hat ihr Debüt tolle Momente und mit „Rivers And Roads“ einen DER Überhits meines Sommers 2011.

Howie Day hat ja vor ein paar Monden ein ganz okayes Comeback-Album namens „Sound The Alarm“ vorgelegt. Jetzt meldet er sich mit der neuen EP „Ceasefire“ erneut zurück. Vier der sechs Songs sind richtig gut – allen voran „No One Else To Blame“. Day kann auch hier wieder nicht an jene Unbefangenheit und Einzigartikeit seiner ersten beiden Alben anknüpfen, tolle Popmusik ist das aber allemal.

– Bleiben wir doch gleich bei einem Herrn, bei dem es mir ganz ähnlich geht: Marc Broussard hat ein selbstbetiteltes neues Album rausgehauen. Nach seinen Soul- und R’n’B-Tribute-Sachen probiert er es jetzt wieder mit eigenem Material. Und er überrascht mich sehr postiv. Na klar, diese Platte ist Mainstream hoch drei. Aber eben gut gemacht. Mit tollen Hooks, super Songs – und einer sexy Stimme, die alles zusammenhält.

Bon Iver. So ziemlich jeder musikinteressierte Mensch, der einen Internetzugang besitzt, hat schon irgendwas Cleveres über Justin Vernons neue Platte geschrieben. Stimmt auch, das meiste. Ist gut, das Teil. Größer, hymnischer als das bejubelte Debüt. Aber trotzdem ehrlich, aufrichtig, groß. Als ich neulich von einem 2zueins!-Gig nach Hause gelaufen bin, hat mich diese Platte begeistert – und für die Dauer des Heimwegs zum glücklichsten Menschen dieses Sonnensystems gemacht.

– An der Entstehung von James Maddocks neuem Album „Wake Up And Dream“ war ich aktiv beteiligt. Er hat die Aufnahmen durch den Dienst pledgemusic.com finanziert, und ich habe von Herzen gerne ein paar Rappen dazugegegeben. Maddock liefert einfach nur mehr von dem, was ich so an ihm liebe: herzhafte, organische Popsongs, mit dem großartigen Aaron Comess am Schlagzeug und der wunderbaren Leslie Mendelson an den Backing Vocals. Gestern hatte ich die handsignierte CD im Briefkasten, die mp3s darf ich schon seit ein paar Wochen genießen – Danke James für die gute Musik, mein Geld habe ich mehr als gut investiert.

– Noch mehr Post: heute kam endlich die „Live At Wrigley Field“-Box der Dave Matthews Band bei mir an. DMB haben die letzten beiden Shows ihrer 2010er-Sommertour als edles Boxset veröffentlicht, mit Bonus-Fotobooklet, handnummeriertem Kunstdruck und so. Ganz nebenbei ist die Musik großartig: sie spielen sich traumwandlerisch sicher durch ihr famoses Repertoire und haben mit „Needle And The Damage Done“, „Write A Song“, „Good Good Time“, „Sister“ und „Burning Down The House“ auch jede Menge angenehme Fanüberraschungen im Gepäck. Sicher, der Import war schweineteuer – aber für diese Band mach ich das gerne, immer und immer wieder.

– Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie sehr mich die Felice Brothers mit ihrem neuen Album „Celebration, Florida“ begeistern. Die Dylan-Soundalikes mit den geilen Songs entdecken die Elektronik und die richtig verzerrten Gitarren – und legen ihr vielleicht spannendstes, abwechslungsreichstes Album vor. Als Beispiel sei hier einfach das Video zu „Ponzi“ verlinkt. Genau so klingt diese sensationelle Platte – und doch sind fast alle Songs noch stärker als dieser hier:

Warren Haynes, der alte Freund. Hat parallel zum 2010er Gov’t Mule-Album mal eben ein soul-inspiriertes Soloalbum eingespielt. Solo wie in: mit ganz vielen anderen geilen Säuen, die nur halt nicht in seiner Stammband spielen. Da gibt es zum Beispiel ein Wiederhören mit Ivan Neville, der mir natürlich bestens durch sein Solowerk, seine Dumpstaphunk-Sachen und durch seine Zeit bei den Spin Doctors vertraut ist. „Man In Motion“ hält zwar nicht das von der Plattenfirma gegebene Versprechen, eine Soul- oder gar R’n’B-Platte zu sein. Aber auf alle Fälle präsentiert sie Warren Haynes on top of his game, und mit jeder Menge fantastischen Songs.

– Als Schlagzeuger der Spin Doctors sorgt Aaron Comess dafür, dass die funkieste Band der Welt zur funkiesten Band der Welt wird. Betrachtet man sein reges Schaffen als Solo-Künstler, stellt man schnell fest, dass dieser Mann mehr kann als „nur“ Trommeln. „Beautiful Mistake“ ist Comess‘ zweites Soloalbum, er hat alle Stücke geschrieben und produziert – und auch diesmal ist das alles andere als eine Schlagzeug-Nabelschau. Unglaublich, was für geile Ideen der Typ hat. Langjährige Freunde wie Teddy Kumpel (git) setzen perfekt um, was Comess sich zuvor erdacht hat. Habe selten eine derartig gute Instrumental-Platte gehört. Weltklasse.

– Bleiben wir kurz bei den Spin Doctors: Bandkollege Eric Schenkman hat, wenn er nicht gerade die Riffs zu „What Time Is It“ oder „Hungry Hameds“ intoniert, derzeit Bock auf „Rural Folk Boogie“ – so nennt Schenkmans neue Band Openhearts Society ihre Musik jedenfalls. Bisweilen erinnert mich das an Neil Young und manchmal an Sarah McLachlan, die neun Stücke sind kurzweilig, originell – und klingen so ganz und gar nicht nach Erics Stammband.

– Und schließlich ist da noch Ben Harper. Dessen neues Album „Give Till It’s Gone“ steht seit Mai in den Läden – und es fordert mich ziemlich heraus. Dass ich die Musik von Harper liebe, ist klar. Dass er immer wieder Sachen ausprobiert, die ihn wie auch seine Fans fordern, ist mir sehr sympathisch. Das Album mit „Relentless 7“ war ein bewusster Bruch mit der zuletzt eingetretenen Pop-Gefälligkeit seiner Stammband „Innocent Criminals“. Auch bei „Fistful Of Mercy“ konnte Harper sich zuletzt ausprobieren und mal wieder folkigere Klänge anschlagen. Jetzt also ein Soloalbum, das er mit den Relentless 7-Leuten, aber auch mit Größen wie Ringo Starr oder Jackson Browne eingespielt hat. Die Magie anderer Harper-Releases mag sich nicht gleich nach dem ersten Hördurchgang einstellen. Berührend, ergreifend und aufrichtig ist diese Platte aber dennoch. Nach und nach. Geduldig ist diese Platte und sie wird mit jedem Hören größer.

Mein 2010: Lieblingskonzerte

10 – Dave Matthews Band, Hamburg, 16. Februar
Das Auftaktkonzert der DMB-Europatour 2010 war sicherlich keines für die Ewigkeit, weder von der Setlist noch vom Sound oder der Performance her. Aber wir hatten eine großartige Zeit in der Hansestadt, und selbst ein mittelmäßiges Dave-Konzert ist besser als das meiste, was man sonst so zu sehen bekommt.

9 – Get Well Soon, Leipzig, 3. März
Ziemlich artsy, das ganze. Mit großer Videoprojektion, ganz wichtiger, großer Pose und so. Aber dennoch hat mich diese Band hervorragend unterhalten und für zwei Stunden in ihren Bann gezogen.

8 – Götz Alsmann & Band, Leipzig, 14. Oktober
Götzimausi wirkte im ersten Teil seiner Show doch ziemlich routiniert und ein wenig kaputtgetourt. Das zweite Set jedoch war sensationell, die Zugaben nicht von dieser Welt und ein locker aus drei Generationen bestehendes Gewandhauspublikum war am Ende außer Rand und Band.

7 – Unbekannter Sänger, Bangkok, 30. August
Wir saßen in irgendeiner Rooftop-Bar in Bangkok, und irgendein Thai-Musiker würde schon das übliche Set mit mäßigen Coverversionen von „Hotel California“ und „House Of The Rising Sun“ abgniedeln. Dachten wir. Was wir – kurz vor dem Rückflug nach Deutschland – zu hören bekamen, war ein brillianter junger Mann, der den Groove mit Löffeln gefressen hatte und uns mit Howie Day, Joseph Arthur, Jason Mraz und Dave Matthews begeisterte. Das einzig wirklich mittelmäßige an diesem Abend war der Gin Tonic.

6 – Alberta Cross, Berlin, 17. Februar
Die Band, die mein Fast-Lieblingsalbum 2009 verzapfte, durfte ich gleich zwei Mal sehen in diesem Jahr, wieder als Vorband für Dave Matthews. Das Set, das die AC-Jungs in Berlin hingelegt hatten, unterschied sich nur unwesentlich von dem am Vortag. Das Hauptstadt-Publikum war der Vorband gegenüber jedoch wesentlich aufgeschlossener als das in Hamburg. Gitarrenwände wie eine Naturgewalt, darüber dieser erhabene Gesang – immer wieder toll. Ich hoffe daher sehr auf ein neues Alberta-Cross-Album und wünsche mir einen weiteren großen Wurf.

5 – Dave Matthews Band, Berlin, 17. Februar
Bleiben wir gleich im Tempodrom, selber Abend, eine Stunde später: DMB mit einem derart beseelten, detailversessenen Set, dass der Unterschied zum Vorabend (siehe Platz 10) kaum hätte größer sein können. Ich stand mit offenem Mund im Zuschauerraum und ließ es einfach geschehen. Und als dann am Ende in einem epischen 12-Minuten-„So Damn Lucky“ auch noch „Thank You (Falletin Me Be Mice Elf Agin)“ eingebaut wurde, war ich mir mal wieder sicher, dass DMB die so ziemlich beste Band der Welt sein muss.

4 – Selig, Leipzig, 17. Dezember
Warum auch immer das Haus Auensee derart mittelprächig gefüllt war – Band und Publikum ließen sich durch die spärlich gefüllten Reihen nicht runterziehen. Im Gegenteil: inzwischen hab ich ja nun schon so einige Selig-Auftritte sehen dürfen. Aber die diesjährige Show war wirklich besonders und zeigte eine vor Spielfreude und Euphorie kaum zu bändigende Band. Still Selig after all these years…

3 – Fettes Brot, Leipzig, 1. Dezember
Mehr als einen halbwegs coolen Abend hab ich gar nicht erwartet, als ich zum Fettes-Brot-Konzert eingeladen wurde. Dass mir das Konzert derart großen Spaß machen würde, hätte ich nie gedacht. Die Brote verfügen über eine erstklassige Band und sind tatsächlich echte Entertainer. Zwei kurzweilige, schweißtreibende Stunden, die ich nicht missen möchte. Im Gegenteil: zu Fettes Brot würde ich jederzeit wieder gehen.

2 – Stoppok & Worthy, Leipzig, 27. November
Die von mir besuchten Stoppok-Konzerte zu zählen, hab ich schon Ende der neunziger Jahre aufgegeben. Umso schöner, dass Stoppok-Shows bis heute zu meinem Leben dazugehören. Das diesjährige war bemerkenswert – im Duo mit Bassist Worthy und in zwei ausladend langen Sets hat der Sänger mal wieder unter Beweis gestellt, dass bei ihm vielleicht nicht jeder Reim ein Volltreffer sein mag, er mit seinem musikalischen Können und Gefühl aber nach wie vor in der Champions League spielt.

1 – The Cat Empire, Berlin, 5. Oktober
Zum dritten Mal The Cat Empire. Zum dritten Mal ein Erlebnis, das in jeder Hinsicht berührt. Wie sich hier leise, filigrane Momente an lautstarke Gefühlsausbrüche reihen; wie hier Rock, Jazz und Funk zu etwas ganz Eigenem verschmelzen; wie viel diese Musik mit mir anrichtet, das in Worte zu fassen ich nicht in der Lage bin! Dieses Konzert war der vielleicht intensivste Augenblick meines an kostbaren Momenten nicht eben armen Musikjahres 2010.

Neue Musik: Justin Townes Earle, Aloe Blacc, Ocean Colour Scene, The Tallest Man On Earth, Dumpstaphunk, David Gray, Dave Matthews Band

Justin Townes Earle – Harlem River Blues (2010)
Dass einer, der wegen Körperverletzung inhaftiert war und derzeit in einer Entzugsklinik lebt, solche herzzerreißend schöne Musik machen kann – das ist einer dieser seltsamen Widersprüche im Leben. Darf ich vorstellen: Justin Townes Earle, Alternative-Country-Darling der Stunde in den USA, vier große Alben in nicht ganz vier Jahren, Sohn der Songwriterikone Steve Earle. „Harlem River Blues“ changiert zwischen Folk, Country und Blues; die Platte strahlt eine Lebenslust aus, dass man schlichtweg nicht glauben will, dass sie von einem Mann stammt, der offenbar größere persönliche Probleme mit sich herumschleppt. Ich bin froh über diese tolle, tolle Musik und wünsche mir und ihm, dass es Justin Townes Earle bald besser geht.

Aloe Blacc – Good Things (2010)
Scheinbar aus dem Nichts tauchte in diesem Spätsommer Aloe Blacc auf und er hatte einen Überhit im Gepäck. „I Need A Dollar“, dieses sich ach so beiläufig ins Hirn fräsende Soulpopbrett, war mit einem Schlag überall: in den Fernsehshows, den Radios, im Feuilleton, in der Musikpresse sowieso. Hype? Geschicktes Marketing seitens der Plattenfirma? Kann alles sein. Entscheidend ist, dass Aloe Blacc ein wahrlich famoses Album vorweisen kann, das eben mehr ist als ein „stimmiges Produkt“. „Good Things“ funktioniert nicht, es lebt, atmet, eckt an, begeistert, verwundert. Da schickt sich einer an, Soul und R’n’B sanft ins 21. Jahrhundert zu hieven, stets voller Respekt vor den Anfängen, aber eigenständig und raffiniert genug, um nicht als Retro-Act abgestempelt zu werden.

Ocean Colour Scene – 21 (2010)
Andere lassen sich anläßlich ihres 21. Geburtstages ein Auto schenken oder besaufen sich, einfach, weil sie’s jetzt dürfen. Ocean Colour Scene feiern ihren 21. Geburtstag mit einem Mörderrelease. Die 4-CD-Deluxe-Box „21“ enthält fast 90 Songs, ein wunderbares Booklet mit herrlich nerdiger Diskographie und ist weit mehr als ein „Best Of“-Album. Die Herren aus Birmingham blicken dankbar und zu Recht auch stolz zurück auf ihre bisherige Karriere: die holprigen Anfänge, die Hochphase mit „Moseley Shoals“ und „Marching Already“, der Wandel, die Suche, die wiedererlangte Topform der letzten Zeit. Altbekannte Hits stehen neben bislang unveröffentlichten Demos, Outtakes und Liveversionen (natürlich genau 21 an der Zahl). Ach ja, und eine komplett neue Single gibts auch. Wie die heißt? Logisch, 21. Runde Sache, tolle Anthologie, große, leider viel zu selten gewürdigte Band.

The Tallest Man On Earth – Sometimes The Blues Is Just A Passing Bird (2010)
Erst im Mai habe ich über Kristian Matsson und sein letztes Album „The Wild Hunt“ geschrieben, schon beglückt uns The Tallest Man On Earth mit einer neuen EP. Die kommt noch weitaus reduzierter, spontaner und dennoch runder daher als ihr Vorgänger. Und mit „The Dreamer“ hat der alte Schwede uns einen der schönsten Songs des Jahres geschenkt.

Dumpstaphunk – Everybody Want Sum (2010)
Funk, und zwar ohne jeden Zweifel. Schon seit einigen Jahren sorgt die Band um Ivan Neville für tolle Konzerte, auf denen es nur um eines geht: um beinharten New Orleans-Funk. Endlich gibt’s nun ein komplettes Dumpstaphunk-Studioalbum, und das macht einfach Spaß. Tanzen, zappeln, feiern – ob man nun will oder nicht. Ivan singt gleich im ersten Track das Hohelied der Liebe zur Musik: „She’s funky like the Family Stone, smooth like Marvin Gaye, she’s rock’n’roll like Keith and Mick, she sings like Lady Day. Sheez music.“

David Gray – Foundling (2010)
Das Ende einer großen Liebe? Meine Gefühle für David Gray haben sich in der Tat in den letzten Jahren ziemlich abgekühlt, die letzten Platten waren mir alle etwas zu adult, sophisticated – oder schlichtweg zu langweilig. „Foundling“ ist eine Doppel-CD mit Resten aus der letztjährigen Studiosession und klingt über weite Strecken leider auch so. Allerdings blitzt an manchen Stellen das auf, was mich an älteren David Gray-Alben immer so fasziniert hat. Das bittersüße „Forgetting“, das fragende „Holding On“, das vielversprechende „Only The Wine“ – starke Songs, souverän vorgetragen, so gar nicht das überflüssige MOR-Futter, aus dem der Rest der Platte leider besteht. Mal schauen, vielleicht brauchen wir ja auch nur mal ne Auszeit, der David und ich.

Dave Matthews Band – Live In New York City (2010)
Alle Jahre wieder: DMB hauen kurz vor Weihnachten ein aktuelles Livealbum auf den Markt. Warum sollte das 2010 auch anders sein. Und während es den Fan und Sammler freut, die Setlist überaus abwechslungsreich ist und das Hören dazu führt, dass man sich sofort „zu Hause“ fühlt und diese Band umgehend wieder live sehen möchte, so muss ich doch eingestehen, dass dieses 2-CD-Set für Gelegenheits-DMB-Fans nicht viel mehr sein dürfte als einfach nur eine weitere Dave Matthews-Liveplatte. Allerdings sollten diese Gelegenheitsfans besser einen objektiven Kritiker befragen – ich empfehle „Live In New York City“ nämlich uneingeschränkt.

siebenSACHEN vom 31. März 2010

– Missbrauch I: Sinéad O’Connor ist derzeit Dauergast bei diversen US-Medien (z.B. in der Washington Post)zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche Irlands – wird sie 18 Jahre nach dem „pope incident“ von der öffentlichen Meinung rehabilitiert?

– Missbrauch II: spannendes Dossier zur Odenwaldschule und der Rolle der Medien in der ZEIT der vergangenen Woche.

– Die Medien und der Fall Kachelmann – Bedenkenswertes bei faz.net

Scientology-Film heute Abend im Ersten: er ist a) dringend nötig, b) filmisch wohl kein Highlight, aber okay und c) hoffentlich der Anstoß zu einer neuen Verbotsdiskussion.

– Sascha von musicheadquarter.de hat vorm Frankfurt-DMB-Konzert Dave Matthews getroffen und ihn interviewt. Die beiden haben u.a. über unveröffentlichte Raritäten und Setlisten gesprochen.

– Die aktuelle EP meiner Band 2zueins! gibts jetzt auch bei Spotify zu hören.

– …und schließlich eine echte bittersweet symphony von Tim Minchin – Not Perfect:

Dave Matthews Band – Dive In

Dave Matthews Band gehen schon wieder auf Europa-Tour, was mich natürlich mächtig freut. Diesmal hab ich die Gelegenheit, die Band gleich zwei Mal sehen zu können. Als kleine Einstimmung auf die bevorstehende DMB-Woche: „Dive In“, live in London 2009.

Eben hab ich gesehen, dass die wunderbaren Alberta Cross auch diesmal wieder DMB in Europa begleiten: celebrate we will…!